BAG, Beschluss vom 08.02.2022, Az. 1 ABR 2/21
Quintessenz
Der erstmals neu gegründete Betriebsrat hat kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans, wenn das Unternehmen bereits vor der Bildung des Betriebsrates mit der Umsetzung seiner Betriebsänderung begonnen hat.
Sachverhalt
Das Unternehmen unterhielt zwei Betriebsstätten. Es waren zuletzt 25 Arbeitnehmer beschäftigt, als das Unternehmen diesen mitteilte, dass es den Betrieb stilllegen werde. Der Arbeitgeber kündigte sodann fast allen Arbeitnehmern. Durch die Arbeitnehmer wurde knapp einen Monat nach den ausgesprochenen Kündigungen ein Betriebsrat gewählt. Der Betriebsrat forderte dann den Arbeitgeber erfolglos zum Abschluss eines Sozialplans auf. Die von dem Arbeitsgericht eingesetzte Einigungsstelle erklärte sich für unzuständig. Der Betriebsrat verfolgte sodann gerichtlich seinen Anspruch, da er die Auffassung vertrat, er habe ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans.
Entscheidung der Einigungsstelle über Unzuständigkeit ist keine Einigung.
Das Bundesarbeitsgericht führt zunächst in seinem Beschluss aus, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung die Entscheidung einer Einigungsstelle über ihre Zuständigkeit keine Einigung der Betriebsparteien ersetzende und sie bindende Regelung über die erzwingbare Mitbestimmung darstellt (BAG 26. September 2017 – 1 ABR 57/15, BAGE 160, 232; 17. September 2013 – 1 ABR 21/12). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wird bei einer Entscheidung der Einigungsstelle über ihre Zuständigkeit weder rechtsverbindlich festgestellt noch ausgeschlossen.
Mitbestimmungsrecht nur, wenn Betriebsrat bereits in dem Zeitpunkt besteht, in dem das Unternehmen die Maßnahme plant.
Das Bundesarbeitsgericht hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest. Danach kann der Betriebsrat eines bislang betriebsratslosen Betriebs, der erst nach Beginn der Durchführung der Betriebsänderung gewählt wird, nicht die Aufstellung eines Sozialplans verlangen kann (BAG 22. Oktober 1991 – 1 ABR 17/91; 29. November 1983 – 1 ABR 20/82 April 1982 – 1 ABR 3/80; 28. Oktober 1992 – 10 ABR 75/91 u. a.).
Das BAG stellt maßgeblich auf den Wortlaut des § 111 ff BetrVG ab, wonach für die „geplante“ Betriebsänderung ein Mitbestimmungsrecht besteht. Das Beteiligungsrecht besteht demnach nur, wenn (1) eine Betriebsänderung geplant ist und (2) bereits während der Planung ein Betriebsrat besteht. Das BAG stellt klar, dass nach § 111 BetrVG die Beteiligung des Betriebsrats grundsätzlich stattfinden soll, bevor die Betriebsänderung durchgeführt ist. Daher kann ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auf Abschluss eines Sozialplans nicht mehr entstehen, wenn dieser zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, noch nicht gebildet war. Sinn und Zweck eines Interessenausgleichs kann dann nicht mehr erreicht werden, da die Planung schon abgeschlossen ist und die Maßnahme sich in der Durchführung befindet. So wie § 111 BetrVG dem Betriebsrat einen Anspruch auf frühzeitige Beteiligung bereits in der Planungsphase der Betriebsänderung einräumt. Die Norm bestimmt zwingend als Zeitpunkt für die Mitwirkung des Betriebsrates die Planung, nicht die Umsetzung der Änderung. Mit der Gründung des Betriebsrates tritt in die Betriebsverfassung des einzelnen Betriebes ein neu gegründetes Organ – der Betriebsrat auf. Dieser kann seine Rechte nicht aus der Vergangenheit ableiten, sondern nur diese Rechte in Anspruch nehmen, die zum Zeitpunkt seiner Konstituierung bestanden. Zum Zeitpunkt der Gründung wurde die Betriebsänderung aber nicht mehr geplant, sondern bereits durch die von der Arbeitgeberin ausgesprochenen Kündigungen umgesetzt.